Beim Poetry Slam entscheidet üblicherweise das Publikum darüber, welche Auftretenden eine Runde weiterkommen und wer bei der Veranstaltung schließlich den Sieg davonträgt. Wie genau dabei die Publikumsbewertung eingeholt wird, kann sich von Slam zu Slam unterscheiden. Damit du dir den Ablauf schon mal etwas besser vorstellen kannst, haben wir die geläufigsten Abstimmungsmethoden sowie ein paar interessante Hintergrundinfos für dich zusammengefasst:
Abstimmung im Poetry Slam: die drei häufigsten Wege #
Für das Abstimmungsverfahren gibt es Poetry Slam verschiedene Möglichkeiten, die alle ihre jeweiligen Vor- und Nachteile haben. Welches davon verwendet wird, liegt letztendlich im Ermessen der Veranstaltenden. In den meisten Fällen wird dir eine der folgenden drei Bewertungsmethoden begegnen, die sich innerhalb der Szene etabliert haben:
Publikumsjury mit Wertungstafeln #
Vor Beginn des Wettbewerbs werden Wertungstafeln an fünf bis zehn Personen bzw. Personengruppen verteilt, die dann nach jeden Auftritt stellvertretend für das gesamte Publikum abstimmen. Die Jury wird mehr oder weniger zufällig ausgewählt (meist können sich Interessierte dafür melden) und sollte nach Möglichkeit keinen persönlichen Bezug zu den Auftretenden haben. Die Bewertungsbreite reicht üblicherweise von 1 bis 10 Punkten – wobei 10 die beste Wertung bedeutet. Es sind aber auch andere Zahlenbereiche denkbar.
Bei jeder Abstimmung werden dann die einzelnen Wertungen zusammengerechnet und die Personen mit den meisten Punkten kommen eine Runde weiter. Um zu verhindern, dass einzelne sehr stark abweichende Wertungen zu viel Einfluss auf die Gesamtpunktzahl nehmen, werden die jeweils höchste sowie die niedrigste Zahl gestrichen, um die sogenannte „Streichwertung“ zu erhalten.
Diese Abstimmungsmethode mit Punktetafeln findet vor allem bei Meisterschaften Anwendung, weil sie bei unterschiedlichsten Publikumsgrößen einfach durchführbar ist und gut vergleichbare Ergebnisse liefert. Damit Punktegleichstände zumindest spürbar seltener vorkommen, wird hier außerdem eine Nachkommastelle hinzugefügt – die Wertung reicht also von 1,0 bis 10,0.
Abstimmung mit Handzeichnen #
Nach jedem Auftritt fordert die Moderation das Publikum dazu auf, per Handzeichen eine Wertung abzugeben. Alle Zuschauenden haben eine Stimme bzw. einen Punkt, den sie vergeben können oder auch nicht. Diese Punkte werden zusammengezählt und machen dann das Ergebnis des jeweiligen Slam-Auftritts aus.
Die eigene Stimme kann dabei nach jedem Text neu vergeben werden – es ist also auch denkbar, alle Auftritte jeweils mit einem Punkt zu belohnen. Bei der Art und Weise der Handzeichen gibt es mitunter Variationen zum einfachen Handheben: beispielsweise mit den zu einem Herzen geformten Händen wie bei unserem Krawall + Zärtlichkeit Poetry Slam. Ebenso gibt es manchmal die Möglichkeit, über entsprechende Zeichen auch zwei oder drei Punkte gleichzeitig zu vergeben. (Beim Essener Slamassel werden drei Punkte durch einen Kopfstand signalisiert.)
Die Abstimmung über Handzeichen hat den Vorteil, dass alle Zuschauenden mit einbezogen werden und die Ergebnisse leicht vergleichbar sind. Dafür kann die Auszählung bei größeren Veranstaltungen recht aufwendig sein und die mögliche Bandbreite einer Wertung (quasi nur ja oder nein) ist sehr viel kleiner als beispielsweise bei der Nutzung von Punktetafeln.
Applausabstimmung #
Hierbei wird die Wertung nicht nach jedem Auftritt, sondern zum Abschluss einer Runde eingeholt. Dafür werden alle Poetry Slammer:innen dieser Runde noch einmal auf die Bühne geholt und/oder die Moderation stellt noch einmal kurz eine Verbindung zu jeweiligen Texten her – beispielsweise über ein Erinnerungswort, das vorher gemeinsam mit dem Publikum festgelegt wurde. Anschließend applaudiert das Publikum nacheinander für die Auftretenden, wobei jene mit dem lautesten und/oder längsten Applaus weiterkommen.
Gerade für größere Poetry Slams mit mehreren hundert oder mehr Zuschauer:innen ist die Applausabstimmung hilfreich, weil sie alle Anwesenden miteinbezieht und das gemeinsame Bejubeln der Texte die Stimmung im Saal zusätzlich stärkt. Dafür ist die Messbarkeit eher schwierig und das Ergebnis gerade bei ähnlichen Applausstärken immer auch der subjektiven Wahrnehmung unterworfen. Und je mehr Personen dabei miteinander verglichen werden, desto komplizierter wird es. Deswegen wird diese Methode meist nur bei Finalrunden mit zwei bis drei Personen eingesetzt.
Weitere Variationsmöglichkeiten für die Poetry-Slam-Bewertung #
Neben den drei beschriebenen Abstimmungsmethoden werden dir womöglich noch weitere Wertungsverfahren begegnen, wenn du öfter zu verschiedenen Poetry Slams gehst. So gibt es beispielsweise eine Variante, bei der die Zuschauer:innen vor jeder Runde 1 bis 3 Chips oder Münzen bekommen, die dann in der Pause in entsprechende Gefäße für die jeweiligen Slammer:innen geworfen und anschließend ausgezählt werden. Beim „SlamKessel“ in Greven wurden das zeitweise sogar mit Flüssigkeit gemacht, die auf Messzylinder verteilt werden konnte. Auch eine Abstimmung per Stimmzettel ist denkbar – wird nur wegen des hohen Zeitaufwands und der damit verbundenen Verzögerung kaum gemacht. Und auch die technisch verfeinerte Variante über eine App oder ein Online-Abstimmungstool kommt bislang nur selten zum Zug.
Darüber hinaus besteht natürlich immer die Möglichkeit, neue Ideen auszuprobieren. Wenn du also selbst einmal eine Veranstaltung planst, lass deiner Kreativität ruhig freien Lauf. Dabei solltest du nur drei wesentliche Fragen im Hinterkopf behalten:
- Ist die Methode reibungslos durchführbar?
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Unterstützt sie den Abend / die Stimmung auf sinnvolle Weise oder könnte sie womöglich gar zum Hindernis werden?
- Ist das Abstimmungsverfahren fair und angemessen gegenüber den Slammer:innen?
Wie du diese Punkte am besten gewichtest, hängt von der Ausrichtung deines Poetry Slams ab. So spielt Fairness eine ganz zentrale Rolle, sobald es wirklich um etwas geht – beispielsweise Meisterschaftsplätze oder einen Siegpreis mit gewissem Wert. Ist es dagegen nüchtern betrachtet komplett egal, wer am Ende gewinnt, kann die Wertungsmethode im Grunde sogar bewusst unfair gehalten sein, wenn dadurch ein besonderer Unterhaltungswert für die Show entsteht. In dem Fall solltest du nur vorab mit den antretenden Poet:innen sprechen, damit sich niemand benachteiligt fühlt.
Welche Abstimmungsmethode ist am fairsten? #
Vorab: Eine komplett faire Bewertungsmethode gibt es im Poetry Slam nicht und ist wahrscheinlich gar nicht möglich. Denn mal ganz abgesehen von den unterschiedlichen Schwachpunkten der Verfahren ist jede Stimmabgabe durch die Zuschauer:innen letztendlich subjektiv geprägt. Da wird nicht nach klar definierten Kriterien gewertet, sondern vielmehr danach, ob mir ein Text gerade gefällt oder eben nicht. Und das wiederum kann ebenso davon abhängig sein, wie ich gerade gelaunt bin, ob ich einen persönlichen Bezug zum Thema habe, was für Texte davor kamen oder was auch immer gerade meinen Eindruck mit beeinflussen mag. Etwas, was wir immer im Hinterkopf behalten sollten – als Veranstaltende ebenso wie als Slammer:innen, wo wir uns ja immer wieder der Bewertung des Publikums aussetzen.
Wenn wir aber mit dem klaren Fokus auf Fairness entscheiden müssen, ist wohl die Abstimmung mit Publikumsjury und Wertungstafeln die beste Wahl: Die Punktwertung mit ihrer Bandbreite von 1 bis 10 sorgt für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Gehörten, als wenn ich einfach nur Ja oder Nein sagen kann. Gleichzeitig habe ich sehr genaue und leicht vergleichbare Messwerte, die durch das Verwenden einer Nachkommastelle weiter präzisiert werden können. Ein wesentlicher Schwachpunkt dagegen ist, dass nur ein kleiner Anteil der anwesenden Personen überhaupt werten darf. Noch fairer wäre es also, wenn alle Zuschauer:innen eine Wertungstafel erhalten – was zumindest in der Theorie über ein digitales Abstimmungs-Tool realisierbar ist.
Das optimale Bewertungsverfahren für meinen Slam | Entscheidungskriterien #
Planst du einen eigenen Poetry Slam und bist noch unsicher, wie abgestimmt werden soll? Dann stell dir am besten zunächst folgende Fragen:
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Wie viel Zeit haben wir für die Abstimmung? Soll es möglichst schnell gehen oder gibt es ausreichend Raum für ein aufwendigeres Wertungsverfahren?
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Mit welcher Publikumsgröße rechnen wir – eher klein (und damit leicht zählbar) oder erwarten wir eine größere Menschenmenge?
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Wie stark wollen wir das Publikum mit einbinden? Und möglichst alle Anwesenden oder reichen einzelnen Personen, die als Jury stellvertretend für den Rest stehen?
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Eine möglichst gerechte und zweifelsfreie Bewertung oder Show-Effekt und gute Stimmung – was steht hier für mich im Vordergrund?
Schreib die Antworten auf und bring sie in die Reihenfolge deiner Prioritäten. Anschließend kannst du sie mit den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Wertungsmethoden vergleichen und hast so schon bald die optimale Wahl für dich gefunden.
Wie wichtig ist überhaupt die Bewertung bzw. der Wettbewerb insgesamt? #
Diese Frage müssen wir letztendlich alle für uns selbst entscheiden. Bei Meisterschaften oder wenn es aus anderen Gründen um etwas geht, hat die Wertung natürlich klare Konsequenzen und damit entsprechenden Einfluss. Handelt es sich dagegen um einen einfachen Poetry Slam, der weder relevante Siegpreise noch Meisterschaftsplätze zu vergeben hat, ist der Einfluss auf die persönliche Ebene begrenzt: indem uns beispielsweise ein Sieg in unserem kreativen Schaffen bestärkt oder eine überraschend niedrige Wertung Zweifel auslöst.
Unsere Empfehlung an alle Slammer:innen: Mach dich bloß nicht zu sehr von der Wertung und erst recht nicht vom Wettbewerb abhängig. Das Publikums-Feedback an sich kann zwar durchaus sehr bei der künstlerischen Weiterentwicklung helfen. Denn wenn ein Text zum Beispiel immer wieder schlecht abschneiden sollte, ist das schon ein deutliches Indiz dafür, dass er nicht die gewollte Wirkung erzielt (und damit vermutlich die innewohnende Message nicht wirklich vermittelt, also auch Ziele jenseits guter Wertungen nicht erreicht). Und in Kombination mit dem Trial- and-Error-Prinzip wurde schon so manche Bühnenkarriere massiv beschleunigt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass etwas automatisch schlecht wäre, weil es nur eine (verhältnismäßig) niedrige Wertung erhält. Während umgekehrt häufige Siege noch lange kein Garant für großartige Kunst sind. Am besten setz dir einfach deine ganz persönlichen Ziele, was du mit deinen Auftritten erreichen möchtest. Und kannst so viel besser im Auge behalten, wie weit du deinen Ansprüchen gerecht wirst und wo du noch mehr lernen möchtest. Vollkommen unabhängig von der Wertung.
Auswirkungen auf Buchungen & Status in der Slam-Szene #
Natürlich haben es Menschen erstmal leichter, die mit Poetry Slam anfangen und direkt einen Abend nach dem anderen für sich entscheiden. Das macht von sich Reden, trägt sich unter den Veranstalter:innen weiter und zumindest einige von ihnen laden vorzugsweise Poet:innen zu ihren Events ein, die am Abend „ballern“ oder „alles wegrasieren“. Doch bevor du als Slammer:in jetzt alles daran setzt, genau das zu tun, sollest du dir zwei Sachen bewusst machen:
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Es ist nahezu unmöglich, Siegstrecken dauerhaft zu halten.
Je mehr du dich (persönlich) davon abhängig machst, desto schwieriger wird es, wenn deine Texte auf einmal nicht mehr funktionieren. Außerdem wirst du möglicherweise kaum noch gebucht, wenn „ballern“ bis dahin deine einzige Qualität war.
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Andere Faktoren können ebenso eine wichtige Rolle spielen dafür, wie häufig und von wem du gebucht wirst.
Beispielsweise dein Verhalten auf der menschlichen Ebene und ob du bei deinen Auftritten eher egogetrieben agierst oder das Gesamtbild des Abends im Blick behältst. Ob deine Texte nur für den Augenblick funktionieren oder beim Publikum auch nachhallen. Da gibt es eine ganze Reihe solcher Faktoren, die für ein stabiles Standbein als Künstler:in essenziell sind. Möchtest du langfristig erfolgreich sein, leg deinen Schwerpunkt genau darauf.
Wir als junge Künstler:innen-Agentur können jedenfalls für uns sagen, dass wir Sieg-Statistiken und den Fame-Status innerhalb der Szene als eher irrelevant betrachten. Mit wem wir gerne und häufig zusammenarbeiten, entscheidet sich nach ganz anderen Kriterien: Dazu zählt unter anderem, wie gut Künstler:innen zum Gelingen eines Abends beitragen. Und das kann manchmal gerade die bewusste Wahl eines Textes sein, der vollkommen erwartbar keine hohe Punktzahl erhält – aber im Gesamtbild der Show einfach genau richtig ist für eine schöne Stimmungskurve.
Der eigentliche Sinn der Wertung: Interaktivität & Mitbestimmung! #
Davon ab sollten wir uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, was überhaupt der elementare Sinn und Zweck der Publikumsabstimmung ist: die Einbeziehung der Zuschauer:innen, die so unmittelbaren Einfluss auf den Abend nehmen können. Wem sie damit zum Sieg verhelfen, ist tatsächlich eher uninteressant, spannend ist, was davor passiert. Denn mit der Bewertung wird auch der weitere Verlauf der Show mitbestimmt, also welche Personen noch einmal auftreten dürfen. Auf Publikumsseite bedeutet das: Wenn ich eine Person noch einmal sehen möchte, kann ich aktiv dazu beitragen, dass genau das passiert. Die Zuschauenden sind Teil der Show und genau führt dazu, dass jeder Poetry Slam zu einem gewissen Grad unvorhersehbar bleibt – und damit immer wieder zu einzigartigen und besonderen Erlebnissen führt.