Als Veranstaltungsformat zeichnet sich Poetry Slam vor allem durch seine Offenheit und Vielseitigkeit aus. Denn anders als beispielsweise in der Hochliteratur oder im Comedy-Bereich gibt es hier keine klaren Erwartungen oder gar Vorgaben für das Gezeigte. Was auf der Bühne passiert, ist vielmehr ganz den Auftretenden überlassen – wobei meist lediglich die drei Goldenen Regeln des Poetry Slam gelten:
Die drei Grundregeln im Poetry Slam #
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1. Die Texte mĂĽssen selbstgeschrieben sein.
Also weder Fremdtexte – beispielsweise von bekannten Autor:innen – noch Ghostwriting sind im klassischen Wettbewerb erlaubt.
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2. Es dĂĽrfen keinerlei KostĂĽme oder Requisiten verwendet werden.
Die Poet:innen sind so gekleidet, wie sie sich auch im Alltag bewegen. Und es gibt keine Hilfsmittel – nur der Mensch, der Text und das Mikrofon.
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3. Es gibt ein Zeitlimit fĂĽr jeden Auftritt.
Die Länge kann je nach Veranstaltung variieren. In Deutschland liegt das Limit meist irgendwo zwischen 5 und 7 Minuten, in den USA bei ca. 3 Minuten. Kürzer ist natürlich erlaubt.
Innerhalb dieser Regeln ist vieles möglich – von Gedichten oder Vocal-Rap über persönliche Geschichten und gesellschaftskritische Reden bis hin zu witzigen Erzählungen im Comedy-Stil. Auch thematisch gibt es keine Vorgaben (Ausnahme: sogenannte Themen-Slams), weshalb die Bandbreite hier ebenfalls sehr groß ist.
Regel fĂĽrs Publikum: Respect the Poets #
Es gibt noch eine weitere elementare Regel im Poetry Slam, die sich aber nicht an die Auftretenden, sondern ans Publikum richtet:
Respect the Poets!
Das bedeutet, allen Auftretenden jene Wertschätzung entgegenzubringen, die es eben verdient, wenn ein Mensch den Mut aufbringt, um mit selbst verfassten Werken auf die Bühne zu treten und sich der Bewertung seiner Zuschauer:innen zu stellen. Wenn ein Text nicht gefällt, darf sich das natürlich gerne in der Wertung widerspiegeln – aber sich während des Vortrags zu unterhalten oder anderweitig zu stören, Buh-Rufe oder sonstige missbilligende Kommentare sind absolut tabu.
Diese Regel ist umso wichtiger, da Slam als offenes Format auch vielen Neu-Einsteiger:innen eine Bühne bietet, die hier womöglich zum ersten Mal etwas öffentlich vortragen. Dass da mitunter Auftritte dabei sind, die im Vergleich mit den erfahrenen Slammer:innen wirklich nicht gut sind, liegt in der Natur der Sache. Nichtsdestoweniger sollen sich die betreffenden Personen willkommen und für den mutigen Schritt auf die Bühne wertgeschätzt fühlen – und idealerweise motiviert, auch bei schlechtem Abschneiden im Wettbewerb dranzubleiben, Erfahrungen zu sammeln, sich weiterzuentwickeln und so beständig besser zu werden.
(Und es ist wirklich erstaunlich, welche Entwicklungen wir da schon beobachten konnten. Wer nach dem Trial-und-Error-Prinzip weitermacht, wird nahezu zwangsläufig irgendwann gut und geht dann immer öfter auch als Sieger:in aus einem Poetry-Slam-Abend.)
Außerdem ein kleiner Tipp für Zuschauende: neben dem respektvollen Verhalten auch alle Auftretenden mit einem fulminanten Applaus begrüßen, sobald sie für ihren Vortrag auf die Bühne kommen. Das pusht noch mal zusätzlich und trägt so dazu bei, dass sie eine gute Performance abliefern. Damit wird der Abend für alle gemeinsam noch schöner.
Weitere (mögliche) Poetry-Slam-Regeln #
Je nach Veranstaltung können dir während der Anmoderation noch andere Regeln begegnen, von denen einige innerhalb der Poetry-Slam-Szene eigentlich selbstverständlich sind und daher oft gar nicht erst erwähnt werden. Beispielsweise diese beiden:
Zitate sind nur auszugsweise erlaubt und mĂĽssen kenntlich gemacht werden. #
Es ist vollkommen in Ordnung, wenn innerhalb eines Auftritts aus anderen Texten oder Songs zitiert wird. So ist es zum Beispiel ein beliebtes Vorgehen, einen Slam-Text an ein Zitat anzulehnen und dann einen bestimmten Gedanken daraus weiterzuverfolgen (wie es eben auch Julia Engelmann mit ihrem viralen Erfolg „One Day / Reckoning“ getan hat). Das darf jedoch nur auszugsweise passieren und Zitate dürfen dabei nur einen kleinen Raum innerhalb des Gesamttextes einnehmen. Außerdem muss für alle sicht- bzw. hörbar sein, dass hier zitiert wird und von wem die Worte ursprünglich stammen.
Davon ab gelten natürlich die gesetzlichen Regeln des Urheberrechts – diese entsprechend einzuhalten liegt in der Verantwortung der Auftretenden selbst.
Gesang ist erlaubt – aber nur solange er den kleineren Teil des Auftritts ausmacht. #
Hin und wieder kommt es vor, dass Poetry Slammer:innen Gesangspassagen in ihre Texte einbauen. Das ist in Ordnung, solange der Gesang nicht überwiegt – schließlich ist Slam ein Spoken-Word-Format und kein Song-Wettbewerb. Je nach Veranstaltung gibt es innerhalb dieser Regel klare Vorgaben wie: maximal 49 % gesungen (was sich in der Realität natürlich gar nicht so genau messen lässt). Als Orientierung empfehlen wir: gerne einzelne kurze Gesangspassagen als besonderer Akzent oder für den Chorus; mehr sollte es besser nicht sein.
Übrigens gilt Rap im Rahmen dieser Slam-Regel nicht als Gesang – ist also durchaus auch für den kompletten Text denkbar, solange Acapella gerappt wird. Wie es mit Beatboxing aussieht, ist innerhalb der Szene nicht klar geregelt. Würden wir ähnlich handhaben wie Gesang.
Demokratisches Grundverständnis, gegenseitiger Respekt & Menschlichkeit als Basis für Poetry-Slam-Auftritte #
Fernab der Wettbewerbsregeln ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass die vierte Grundregel „Respect the Poets!“ umgekehrt auch für die Auftretenden gilt: Sei respektvoll gegenüber deinem Publikum sowie allen anderen Beteiligten – und bring bitte ein demokratisches Grundverständnis und etwas Menschlichkeit mit.
Gesellschaftskritik und auch bewusst als Stilmittel eingesetzte Provokation sind natürlich absolut erlaubt – solange es eben nicht zu weit geht und zu Verletzungen führt. Verschiedene Blickwinkel und Themen sollen auf der Slam-Bühne ihren Platz finden, schließlich ist das eine der großen Stärken des Veranstaltungsformat. Sobald politische Themen aber übergehen in Partei-Propaganda oder gar die Verbreitung von rechtem Gedankengut, ist schnell der Punkt erreicht, wo wir als Veranstaltende eingreifen müssen. Das Gleiche gilt für jegliche menschenverachtenden Inhalte. Denn ja: Wir schätzen die Meinungsfreiheit in unserem Land sehr und die Offenheit unseres Formats. Und zugleich möchten wir (so gut es eben geht) sicherstellen, dass niemand die Beliebtheit von Poetry Slam auf solche Weise missbraucht.
So kann es im Zweifelsfall tatsächlich passieren, dass wir von unserem Hausrecht Gebrauch machen und Auftritte abbrechen müssen, wenn Auftretende eindeutig gegen unserer Grundwerte verstoßen. Das kommt aber glücklicherweise nur sehr, sehr selten vor – und wir gehen auch nur so weit, wenn es wirklich schlimm ist. Bei aus unserer Sicht lediglich „grenzwertigen“ Inhalten überlassen wir die (angemessene) Reaktion zumeist dem Publikum und suchen später das Gespräch mit der auftretenden Person, um die Situation gemeinsam zu reflektieren (was in der Regel super funktioniert und das Verständnis füreinander stärkt). Aber all das sind wirklich Ausnahmen – denn offensichtlich ist Poetry Slam ein Format, das vor allem viele wundervolle Menschen, die vereint in ihrer Liebe zum gesprochenen Wort tolle Inhalte auf die Bühne bringen und so manch großartigen Abend möglich machen.
Was passiert eigentlich, wenn die Regeln verletzt werden? #
Jetzt haben wir so viel über die verschiedenen Regeln gesprochen – aber was passiert denn eigentlich, wenn jemand gegen eine von ihnen verstößt? Das kommt immer ein bisschen auf den Verstoß, auf den Kontext sowie die Veranstaltung an. Üblicherweise wird die betreffende Person vom weiteren Wettbewerb ausgeschlossen, kommt also (unabhängig von ihrer Punktzahl) nicht in die nächste Runde bzw. das Finale. Das ist allein schon wichtig, um faire Verhältnisse für alle Auftretenden zu wahren. Der Vortrag an sich soll aber nach Möglichkeit nicht darunter leiden. Kommt also eine Person verkleidet auf die Bühne oder nimmt während ihres Auftritts Requisiten zur Hand, soll sie das erstmal tun – manchmal kann das sogar für absolut große Bühnenmomente sorgen, gerade weil wir uns plötzlich außerhalb des Gewohnten bewegen. Sie muss damit nur eben akzeptieren, dass es ihr letzter Auftritt für diesen Abend sein wird.
Bei Verstößen gegen das Zeitlimit verhält es sich meist ein wenig anders: Wird es überschritten, bricht die Moderation den Auftritt irgendwann ab. Mal sehr abrupt (z. B. bei Meisterschaften), mal mit etwas Puffer – das wird unterschiedlich streng gehandhabt. Es gibt aber auch Poetry Slams, wo der Auftritt weiterläuft und dann im Anschluss je nach Länge der Zeitüberschreitung ein entsprechender Teil der Punkte abgezogen wird.
Bei Unsicherheiten zu den Regeln: Veranstalter:innen fragen #
Trittst du bald bei einem Poetry Slam auf und bist noch unsicher, welches Ablaufsystem und welche Regeln dich dort erwarten? Oder hast du als Zuschauer:in eine Situation erlebt, wo dir nicht ganz klar ist, wie und warum die Slam-Regeln zum Zug kamen? Dann sprich am besten direkt die Veranstalter:innen darauf an. Wir können hier natürlich nur einen groben Überblick zu gängigen Regeln und Abläufen geben – während die detaillierte Ausgestaltung mitunter sehr unterschiedlich sein kann. Aber gute Veranstalter:innen geben normalerweise gerne Auskunft – gerade dann, wenn es zugleich bedeutet, Neueinsteiger:innen mehr Sicherheit für ihren ersten Auftritt zu geben.