In seiner Kernform ist Poetry Slam ein beliebtes Veranstaltungsformat, bei dem Menschen mit selbstgeschriebenen Texten gegeneinander antreten. Dabei können die sogenannten Poetry Slammer:innen ihre Inhalte sowie den Vortragsstil frei wählen und sind dabei lediglich daran gebunden, dass sie keinerlei Kostüme und Requisiten verwenden dürfen und dass es ein Zeitlimit gibt (meist zwischen fünf und sieben Minuten pro Beitrag). Durch diese Offenheit ist Slam äußerst vielfältig in seinen Ausprägungen und reicht von lyrischen Vortragsformen über Geschichten und Stream-of-Consciousness-Prosa bis hin zu humorvollen Erzählungen in Richtung Comedy. Das beliebte Klischee-Bild von Student:innen, die auf pathetische Weise gesellschaftskritische Gedichte vortragen, ist also nicht gerade hilfreich, um Poetry Slam zu verstehen. Zwar gehört gesellschaftskritische Lyrik durchaus dazu – sie ist aber eben nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was dich beim Besuch einer gut organisierten Slam-Veranstaltung erwartet.
Definition: Poetry Slam in aller Kürze #
Ein interaktives Veranstaltungsformat, bei dem Menschen mit selbstgeschriebenen Texten gegeneinander antreten und das Publikum über ein Abstimmungsverfahren darüber entscheidet, wer ins Finale einziehen darf und wer den (literarischen) Wettbewerb letztendlich gewinnt. Oft wird auch von einem „modernen Dichterwettstreit“ gesprochen. Typische Kennzeichen neben dem Wettbewerbscharakter sind, dass es ein Zeitlimit für die Vortragenden gibt und keinerlei Kostüme oder Requisiten verwendet werden dürfen. Vorgaben zu Stilrichtung und Inhalt dagegen gibt es üblicherweise nicht (Ausnahme: Sonderformate wie Themen-Slams). Jedoch sind einige Vortragsweisen und Stilmittel aufgrund ihres Erfolgs so weit verbreitet, dass sie als charakteristisch für Poetry Slam wahrgenommen werden.
Das ist vermutlich auch der Grund dafür, warum „Poetry Slam“ außerhalb der Slam-Szene häufig außerdem als Synonym für einen Slam-Text verwendet wird – was innerhalb der Szene meist eher kritisch gesehen wird. Denn hier meint der Begriff ausdrücklich das Veranstaltungsformat, während die Texte einfach als Texte bezeichnet werden.
Was Poetry Slam so besonders & beliebt macht: die Vielfalt … #
Wer das erste Mal einen Poetry Slam besucht, wird überrascht sein über die Vielfalt an Themen und Stilen, die hier präsentiert werden. Gerade diese Bandbreite macht das Format auch so besonders und beliebt: Denn selbst wenn du mit einigen der Texte womöglich überhaupt nichts anfangen kannst, wird es bestimmt welche geben, die dir gut gefallen – und mindestens ein bis zwei werden vermutlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dazu kommt der angenehme Überraschungseffekt, weil du vorher nie genau wissen kannst, was dich erwartet. Plus die ganz eigene Dynamik, die sich durch die Stimmungswechsel der verschiedenen Texte entwickelt: So kannst du bei emotionalen Geschichten mit ganzem Herzen mitfühlen, dich vom Sprachgeschick und der beeindruckenden Performance einiger Künstler:innen mitreißen lassen, du kannst herzhaft lachen und vieles mehr.
Wenn der Veranstalter seinen Job gut gemacht und ein ausgewogenes Line-up zusammengestellt hat, ist also nahezu sicher, dass du einen unterhaltsamen und inspirierenden Abend erlebst und nach der Show mit einem guten Gefühl nach Hause gehen kannst.
… plus die Mitgestaltung: das Publikum entscheidet über den Verlauf des Abends. #
Ein weiterer entscheidender Faktor für den Erfolg von Poetry Slam: Das Publikum bzw. je nach Abstimmungsverfahren eine ausgewählte Publikumsjury bewertet die Vorträge. Auf diese Weise wird nicht nur über den Sieg des Wettbewerbs entschieden, sondern meist auch darüber, wer noch einmal in einer zweiten Runde und/oder einem Finale lesen darf. Das Publikum hat also direkten Einfluss über den Verlauf des Abends und kann mitentscheiden, wen es noch einmal auf der Bühne sieht. In der klassischen Wettbewerbssituation können dadurch selbst wir als erfahrene Veranstalter:innen nur mutmaßen, wie sich der Abend entwickeln wird – und haben schon so manche Überraschung und erinnerungswürdige Momente erlebt.
Die drei goldenen Regeln im Poetry Slam #
Während sich Vorgehen und Details je nach Veranstaltung unterscheiden können, gelten die folgenden drei Grundregeln für nahezu alle Poetry Slams:
- Die Texte müssen selbstgeschrieben sein.
- Es dürfen keinerlei Kostüme oder Requisiten verwendet werden.
- Es gibt ein Zeitlimit (von meist zwischen 5 und 7 Minuten pro Auftritt).
Ablauf & System der Veranstaltung #
Während der Wettbewerbscharakter beim klassischen Poetry Slam einfach dazugehört, ist die detaillierte Ausgestaltung ganz den jeweiligen Veranstalter:innen überlassen. Häufig gibt es eine Vorrunde und ein Finale (beispielsweise mit 8 Antretenden insgesamt und anschließendem Dreier-Finale, auch genannt „8 – 3“ ), Vorrunde + Halbfinale + Finale (z. B. 6 – 4 – 2) oder eine doppelte Vorrunde, bei der alle Poet:innen zweimal vortragen und schließlich die beiden Personen mit der besten Wertung noch einmal im Finale gegeneinander antreten (z. B. 4 – 4 – 2).
Typisch für den Ablauf ist eine einleitende Moderation zum Start, um den Besucher:innen zu erläutern, was Poetry Slam überhaupt ist, was sie hier erwartet und wie das Bewertungssystem funktioniert. Außerdem gibt es oft ein kleines Warm-up zur Einstimmung – entweder mit einem Slam-Text außerhalb der Wertung oder einem musikalischen Act. Anschließend beginnt der Wettbewerb mit Vorrunde(n) und Finale, bis es schließlich zur Sieger:innen-Ehrung, Dankesworten an alle Beteiligten und zur Verabschiedung kommt. Üblich ist eine kleine Pause etwa zur Mitte der Veranstaltung – beispielsweise nach der ersten Vorrunde.
Wie im Poetry Slam (üblicherweise) bewertet wird #
Für die Bewertung gibt es ebenfalls verschiedene Möglichkeiten, von denen du besonders den folgenden dreien häufig begegnen wirst:
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Publikumsjury mit Wertungstafeln
Fünf bis zehn zufällig ausgewählte Personen aus dem Publikum erhalten jeweils eine Wertungstafel, mit der sie nach jedem Text abstimmen. Die möglichen Wertungen reichen von 1 bis 10 Punkten und werden zusammengezählt; die Personen mit den höchsten Punktzahlen kommen weiter. Um Verzerrungen durch eventuelle Ausreißer zu vermeiden, werden die höchste und die niedrigste Punktzahl einer Abstimmung nicht mitgezählt (Streichwertung).
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Abstimmung per Handzeichen
Alle Anwesenden mit Ausnahme der auf der Bühne aktiven Personen haben eine Stimme, die sie nach jedem Vortrag per Handzeichen (oder alternativer Methode) vergeben können. Das ist beliebig oft möglich; es können also auch alle Poet:innen einen Punkt von einer Person bekommen (oder auch niemand). Die Stimmen für jeden Vortrag werden zusammengezählt, die Personen mit den höchsten Punktzahlen kommen weiter.
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Applausabstimmung
Nach Ablauf einer Runde werden alle Auftretenden auf die Bühne gebeten, um sich nacheinander dem wertenden Applaus des Publikums zu stellen. Die Personen mit dem lautesten und längsten Applaus kommen weiter.
Typische Merkmale von Poetry Slam #
Was die Veranstaltungsform betrifft, sind vor allem folgende Merkmale typisch für Poetry Slam:
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Wettbewerbscharakter
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die drei Grundregeln (selbstgeschriebene Texte, keine Hilfsmittel, Zeitlimit)
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Das Publikum entscheidet über den Verlauf sowie den Sieg.
Davon ab zeichnen sich viele Auftritte durch eines oder mehrere der folgenden Merkmale aus – was daran liegt, dass die betreffenden Vortragstechniken auf der Bühne meist gut funktionieren und deshalb von vielen Poetry Slammer:innen übernommen werden:
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ausdrucksstarke, melodische Sprechweise – mit teilweise überdeutlichen Betonungen und bewusst gesetzten Pausen
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hoche Sprechgeschwindigkeit
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performativer Charakter – sowohl stimmlich als auch mit Blick auf Mimik, Gestik & bewusst eingesetzte Moves
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Einsatz charakteristischer Stimmfarben (beispielsweise tiefe, basslastige Stimme bei lustigen Erzähltexten, wie sie unter anderem Patrick Salmen, Thorsten Sträter und Tobi Katze verwenden)
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hohe Emotionalität – sowohl inhaltlich als auch in der Art und Weise der Performance
ABER: Auch wenn bestimmte Vortragsweisen und Stilmittel häufig verwendet werden, sind sie KEINE VORAUSSETZUNG für einen Poetry-Slam-Auftritt. Erlaubt ist im Grunde alles, was sich im Rahmen der Slam-Regeln umsetzen lässt – vom ganz normaleren Vorlesen bis hin zu dadaistischer Performancekunst oder auch einfach fünfminütigem Schweigen.
Wirkungsbereiche: Poetry Slam außerhalb der Kulturszene #
Weil Poetry Slam als Veranstaltungsformat sowohl auf inhaltlicher als auch auf der Ebene der Bühnenperformance ein spannendes Potenzial freisetzt – und darüber hinaus die Slam-Szene gewissermaßen zu einem Inkubator in puncto Showbusiness geworden ist –, sind Slam-Auftritte inzwischen auch außerhalb von Kulturveranstaltungen sehr gefragt. So wirken viele Künstler:innen bei Unternehmenstagungen, Messen und zahlreichen anderen Events mit und bieten dabei eine willkommene Abwechslung zu anderen Programmpunkten. Und liefern Ideen und Texte fürs Marketing, weil sie andere Fähigkeiten und kreative Ansätze mitbringen als herkömmlich ausgebildete Marketing-Expert:innen. Poetry Slam geht also längst weit über das eigentliche Szene-Geschehen hinaus und hat eine Wirkungskraft in verschiedene Richtungen entfaltet.
Wie ist Poetry Slam entstanden? – Geschichte & Anfänge in Deutschland #
Als Begründer des Poetry Slams in seiner heutigen Form gilt der ehemalige Bauarbeiter Marc Kelly Smith, der bewusst mit den Möglichkeiten der Literaturvermittlung experimentierte und eine Alternative zur klassischen „Wasserglas-Lesung“ schaffen wollte. So wurde er schließlich zum Veranstalter des ersten Poetry Slams, der am 20. Juni 1986 im „The Green Mill“ in Chicago stattfand und zum Prototyp für das mittlerweile so weit verbreitete Format wurde. Der Slam existiert bis heute und findet regulär jeden Sonntag statt.
In den Jahren nach der Premiere wurden immer mehr Akteur:innen der Literatur- und Kulturszenen aus anderen amerikanischen Städten auf Poetry Slam aufmerksam und adaptierten das Konzept für sich. Über das New Yorker Nuyorican Poets Café fand Slam dann seinen Weg ins Radio und ins Fernsehen – was wesentlich zur internationalen Verbreitung beitrug.
Erste Slams & Entwicklung in Deutschland … #
In Deutschland wurde der Begriff „Poetry Slam“ zum ersten Mal 1994 in Berlin für eine Veranstaltung verwendet – wobei es bereits seit 1986 in Frankfurt am Main und seit 1993 in Köln ähnliche Formate unter anderem Namen gab. Im Laufe der 1990er entstanden Poetry-Slam-Reihen in weiteren Städten, die Szene wuchs. Doch trotz der kontinuierlichen Verbreitung und auch gelegentlicher Präsenz im TV blieb Slam lange Zeit „Randkultur“. Bis zum viralen Erfolg eines Mitschnitts vom Auftritt der Slammerin und Schauspielerin Julia Engelmann, die über das Youtube-Video ihres popkulturell geprägten Textes „One Day / Reckoning“ erstmals ein Millionenpublikum erreichte.
Ein Teil dieser Aufmerksamkeit kam auch der Poetry-Slam-Szene zugute: Die Besucherzahlen stiegen vielerorts, die Veranstaltungen wurden (teilweise wesentlich) größer und auch die Gemeinschaft der aktiven Poet:innen wuchs. Ab ca. 2018 flachte diese Entwicklung allmählich wieder etwas ab und 2020 führte die Corona-Pandemie dazu, dass das Slam-Geschehen zeitweilig massiv zusammenschrumpfte. Seit Mitte/Ende 2022 geht es wieder aufwärts – jedoch sind viele der etablierten Slams immer noch nicht wieder bei ihren einstigen Besucher:innenzahlen angelangt.
Innerhalb der Szene durchaus umstritten – doch der virale Erfolg dieses Videos hat auf jeden Fall massiv zur allgemeinen Sichtbarkeit von Poetry Slam beigetragen.
Ist Poetry Slam nur etwas für junge Leute? #
Im Gespräch mit Menschen, die noch nicht so vertraut mit dem Format sind, begegnet uns immer wieder ein Vorurteil: Poetry Slam wäre doch vor allem etwas für junge Leute. Und ja, es handelt sich dabei letztendlich um ein Vorurteil, weil die Aussage eine wichtige Eigenschaft von Poetry Slam auslässt: die Vielfalt. Natürlich gibt es zahlreiche Texte von jungen Slammer:innen, die eher eine jüngere Community ansprechen, weil sie vor allem deren Lebenswelt widerspiegeln und sich mit den entsprechenden Themen auseinandersetzen. Aber genauso gibt es Slammer:innen jeglicher Altersklassen (bis hin zu 80+), die sich inhaltlich (vor allem) in Bereichen ihrer jeweilige Peer Group bewegen. Genau wie Texte, die Menschen nahezu sämtlicher Altersklassen ansprechen und so auf gewisse Weise für einen Moment im gemeinschaftlichen Zuhören und Miterleben vereinen.
Nur weil sich der wohl überwiegende Teil der aktiven Slammer:innen im Alter zwischen 16 und 30 befindet (was sich im hochprofessionellen Bereich noch mal etwas verschiebt), heißt das noch lange nicht, dass das Publikum das spiegeln müsste. Schließlich lesen wir ja auch Bücher nicht nur von Autor:innen unserer eigenen Altersklasse – und es ist immer spannend, sich mithilfe von Medien und Veranstaltungen in Themen und Sichtweisen zu begeben, die wir eben nicht schon aus der eigenen Bubble kennen. (Und eines ist aus Erfahrung klar: Im Poetry Slam funktioniert das fantastisch.)
Slam für jede Altersgruppe – mit der entsprechenden Ausgestaltung #
Davon ab kommt es – bezogen auf die obenstehende Frage – immer auf die Ausrichtung einer Veranstaltung an. Wir können einen Poetry Slam so gestalten und mit entsprechenden Künstler:Innen besetzen, dass er vor allem für jüngere Menschen ein besonderes Erlebnis wird; beispielsweise bei einem Uni-Slam. Und wir können ihn so ausrichten, dass sich Altersgruppen ab 40 oder 50 Jahren rundum abgeholt und wohlfühlen; beispielsweise für einen Slam in ländlicher Gegend mit hohem Altersdurchschnitt oder im Rahmen von Ehrenamtsveranstaltungen. Oder eben alles, was dazwischenliegt.
Diesen Teil mitzudenken, gehört bei uns unmittelbar zur professionellen Arbeit dazu. Weswegen wir uns als Veranstalter auch immer ausführlich mit dem Kontext eines Projektes auseinandersetzen und schauen: Welche Akteur:innen passen hier rein, wie und mit wem können wir eine wirkungsvolle Verbindung aufbauen? Denn unser Ziel besteht darin, dass sich am Ende möglichst alle Anwesenden inspiriert fühlen und mit einem guten Gefühl aus der Veranstaltung gehen.
Wo finden Poetry Slams statt? #
Wenn du nicht gleich selbst eine Veranstaltung planen, sondern einfach erstmal einen Poetry Slam besuchen möchtest, stellt sich vermutlich die Frage: Wo habe ich überhaupt die Möglichkeit dazu? Das kommt natürlich immer auf deine Region an – die Wahrscheinlichkeit ist aber sehr hoch, dass es in erreichbarer Nähe mindestens einen Poetry Slam gibt, der regelmäßig stattfindet. Denn mittlerweile ist Slam in nahezu allen Regionen des deutschsprachigen Raums vertreten, ob mit kleinen Veranstaltungen in Cafés, Kneipen und Jugendzentren oder größeren Events in Theatern, Kinos, Festsälen und vielen weiteren denkbaren Locations. Über die Suchmaschine wirst du in der Regel schnell fündig (am besten „Poetry Slam“ in Verbindung mit den relevanten Städten im Umfeld suchen), außerdem findest du hier eine umfassende Liste mit mehr als 150 Poetry Slams in Deutschland. Diese Liste können wir leider nicht immer ganz aktuell halten (letzter Stand momentan: 2020) – aber als erste Orientierung sollte sie dir auf jeden Fall weiterhelfen.
Hast du noch Fragen rund um Poetry Slam? #
Dann schau am besten noch ein bisschen weiter in unserer FAQ, ob sich hier die passende Antwort findet. Oder sofern nicht: Schreib uns sehr gerne eine Nachricht, damit wir dir direkt darauf antworten können.